Anfang des Jahres fiel der Startschuss für das „Team Nachtbürgermeister“ und den „Info-Punkt“ im Regenbogenkiez. Das Projekt wurde vom Bezirksamt Tempelhof– Schöneberg initiiert und soll als Pilotprojekt erst einmal bis Ende 2021 laufen.
Auch im Regenbogenkiez mit seinen diversen Lokalen und Events wie dem Lesbisch-schwulen– Straßenfest oder Folsom Europe, die LSBT* aus aller Welt anlocken, geht es nicht nur bunt und fröhlich zu. Viele unterschiedliche Interessen existieren nebeneinander – von denen, die hier ausgehen, und jenen, die hier wohnen. Das führt manchmal zu Konflikten. Zudem wurde der Kiez noch bis 2019 als Berliner Hotspot der Kriminalität gelistet. Regelmäßig war hier von Straftaten zu hören, von denen auch viele Gäste und Tourist*innen betroffen waren. Das bewog den Bezirk nach Konzepten zu suchen, um gegenzusteuern. „So haben wir die Idee geboren, nach niederländischem Vorbild einen Nachtbürgermeister für den Regenbogenkiez zu schaffen“, so die Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler. Anfang 2020 fiel schließlich der Startschuss für das Pilotprojekt: das Team Nachtbürgermeister, den Info-Punkt und die Nachtlichter, gefördert vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg sowie aus Mitteln der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe und der Landeskommission Berlin gegen Gewalt der Senatsinnenverwaltung. Beauftragt vom Bezirksamt kann MANEO seinen Erfahrungsschatz aus 30 Jahren Opferhilfe und Gewaltprävention einbringen. Gut vernetzt und engagiert soll dieses Vorhaben zu einem Erfolg geführt werden. Zunächst wurden in unterschiedlichen „Impulsgruppen“ Gespräche mit Anwohnenden, Gewerbetreibenden und weiteren Akteur*innen aus dem Kiez geführt. Zusammengeführt wurden die Kiezrunden im Präventionsrat Regenbogenkiez, der sich Ende 2019 erstmals traf.
Das Team Nachtbürgermeister besteht aus drei MANEO-Mitarbeitern: den zuständigen Koordinatoren des Info-Punktes, Nick Woods, der Impulsgruppen zu Themen wie Jugendeinrichtungen und EU-Zuwanderung, Timo Hegedüs, und des Präventionsrates, Bastian Finke, der auch das Team Nachtbürgermeister leitet. Unterstützt werden sie am Info-Punkt von weiteren Minijobbern und ehrenamtlichen Helfer*innen.
Die Ziele
Erklärtes Ziel: Konflikte früh erkennen und schlichten, zwischen Kneipiers, Klub– und Hotelbesitzer*innen einerseits und Anwohner*innen andererseits vermitteln. Das Sicherheitsgefühl soll durch das Team Nachbürgermeister und die Vorort-Arbeit am „Info-Punkt“ erhöht werden. Langfristig sollen zudem mit dem Bezirksamt Lösungen entwickelt werden. Darüber hinaus soll der Tourismus im Kiez unterstützt werden, indem z.B. auch Reisende hier Ansprechpersonen finden.
Der Info-Punkt befindet sich in einem mobilen Holzhäuschen, einem Tiny House, das im Februar 2020 von visitBerlin zur Verfügung gestellt und auf dem Spielplatz Fuggerstraße Ecke Eisenacherstraße aufgebaut wurde. Der Info-Punkt ist die Vorort-Präsenz des Nachtbürgermeisters, Mitarbeiter*innen, die neben Deutsch auch Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch sprechen und an ihren roten T‑Shirts und Westen mit Logo als Mitarbeiter*innen des Info-Punktes und mit ihren blauen Westen als Team Nachtbürgermeister zu erkennen sind, sind täglich zwischen 17–20 Uhr vor Ort und unternehmen Rundgänge (16–17 Uhr) durch den Regenbogenkiez, um direkten Kontakt mit Anwohner*innen, Gewerbetreibenden und Tourist*innen aufzunehmen. Zusätzlich streifen nachts am Wochenende und an besonderen Feiertagen die Nachtlichter der Firma „SI hoch 3“ durch den Kiez und sind am Info-Punkt erreichbar. Seit März gibt es tägliche Rundgänge, die nach einer Unterbrechung zu Beginn der Corona-Pandemie ab 9. April wieder aufgenommen wurden. Seit 11. Mai ist auch der Info-Punkt wieder geöffnet.
Die erste Bilanz
In den rund 1000 geführten Infogesprächen kamen viele Knackpunkte im Kiez zur Sprache: Drogenhandel und –gebrauch, Verschmutzung, Sachbeschädigung, Diebstahl und Gewaltvorfälle, Alkoholkonsum, Lärm, Streit und vor allem Fragen zu den Corona-Massnahmen.
Klärungshilfe leistete das Nachtbürgermeister-Team mit seinen Vorort-Mitarbeiter*innen, als es aufgrund von nicht eingehaltenen AHA-Geboten zur Eindämmung des Coronavirus und Beschwerden wegen Lärmbelästigung wiederholt in der Motzstraße zu Polizeieinsätzen kam. Wirte baten um Vermittlung aus Sorge, dass die Einsätze nicht angemessen wären. Und so lud das Team als vertrauensbildende Maßnahme zur Gesprächsrunde ins Rathaus Schöneberg, an der u.a. Bezirksbürgermeisterin Schöttler, Bezirksstadträtin Christiane Heiß sowie Wirte und Vertreter*innen von Wirtschaftsförderung und Polizei teilnahmen. Ein weiteres Gespräch soll folgen. Die Mitarbeitenden des Teams Nachtbürgermeister trugen die angesprochenen Themen bereits in viele weitere Fach– und Gesprächsrunden des Bezirkes.
Nach Berichten von Besucher*innen am Info-Punkt, die Opfer von Gewalt geworden waren, wurden die Tatorte persönlich aufgesucht. Den betroffenen Personen wurde Hilfe angeboten, und sie wurden an zuständige Beratungsstellen vermittelt. Wiederholt wurde in Konfliktfällen unter jungen Männern, die sich häufig am Spielplatz aufhielten, interveniert. Dazu gehört eine offene Kooperation mit weiteren Partner*innen im Kiez, die sich etwa um offene Straßensozialarbeit und Arbeit mit Sexarbeitern bemühen. Mit ihrer Präsenz konnten Mitarbeiter*innen Eskalationen und körperliche Auseinandersetzungen vor Ort verhindern. Zudem wird auf dem Spielplatz jetzt die Einhaltung des Alkohol– und Rauchverbots angemahnt. Mit einem speziellen Sommerferienprogramm hat MANEO eine Maßnahme entwickelt, um mit Hilfe von Jugendfreizeiteinrichtungen die Gruppen junger Männer besser zu erreichen. Im August konnte wieder das „Summer Scheme“ in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Organisationen und Trägern stattfinden.
Viele andere Veranstaltungen im Kiez mussten Corona-bedingt ausfallen, was zu großen finanziellen Einbußen bei hiesigen Geschäften und existenziellen Ängsten geführt hat. Abgesagt wurde u.a. die jährlich im Mai stattfindende Kampagne „Kiss Kiss Berlin“ gegen Homophobie und Trans*phobie und Hassgewalt insgesamt. Mit großem Engagement und Kreativität konnte dagegen die „Bartour durch den Regenbogenkiez“ mit Szenegrößen wie Ades Zabel, Margot Schlönzke ins Leben gerufen werden. Das Projekt wurde von Wirten aus dem Kiez auf den Weg gebracht, um in der Pandemie für ihre Lokale zu werben. Mit ihnen gemeinsam hat das Team Nachtbürgermeister das Konzept für die „Bartour“ mit entwickelt, die von August bis Oktober 12 mal mit über 185 Teilnehmenden stattfand.
Mitmachen – weil noch viel zu tun ist
Trotz besonderer Herausforderungen im Corona-Jahr fiel die erste Bilanz nach „100 Tagen Pilotprojekt“ von Bezirksbürgermeisterin Schöttler positiv aus. „Die Teams zeigen Präsenz, die soziale Kontrolle wirkt“, so Schöttler zufrieden beim Pressegespräch im August am Info-Punkt. Der Regenbogenkiez sei kein kriminalitätsbelasteter Ort mehr. Doch auch wenn das Team Nachtbürgermeister mittlerweile täglich mit dem Bezirksamt im Gespräch steht: Probleme können nicht über Nacht behoben werden. Es ist im Kiez noch viel zu tun. Diebstahl, Raubüberfälle und Körperverletzung, homo– und transphobe Beleidigungen bleiben Herausforderungen. Zudem fehlt es an öffentlichen Toiletten; vermüllte Ecken und rücksichtslose Raser machen ebenfalls Probleme. „Wir haben innerhalb kürzester Zeit und unter den besonderen Belastungen der andauernden Corona-Pandemie schon jetzt viel geleistet und aufgebaut“, so Finke als Leiter des Teams Nachtbürgermeister. Sehr gute Rückmeldungen, auch von Gästen und Szene-Besucher*innen, zeigen, dass sie sich von den Mitarbeitenden angenommen und aufgehoben fühlen. Diese trügen ein bisschen zu mehr Sicherheit bei, dadurch dass sie reagieren und die Polizei rufen, während andere weggucken. Das alles ist möglich auch dank der Unterstützung vieler ehrenamtlichen Helfer*innen. „Dieses Engagement brauchen wir weiter. Deshalb werben wir weiter um Ehrenamtliche.“